So vie­le Turn­schu­he wie nie im Bun­des­tag

So vie­le Turn­schu­he wie nie im Bun­des­tag

In der Schwäbischen Zeitung berichtete Thilo Borrmann am 8. Juni:

Bei der Veranstaltung "Jugend und Parlament" schlüpfen junge Leute in die Rolle von Abgeordneten und lernen den Berliner Betrieb kennen

Hatte Spaß, aber auch Stress im Bundestag: Alina Welser aus Mittelbiberach. Foto: Wolfgang Heinzel

Berlin - Jung wie nie präsentiert sich zur Zeit der deutsche Bundestag. 315 Jugendliche, die von Abgeordneten nominiert wurden, durchleben den durchstrukturierten Alltag der Berufspolitiker. Einig sind sich die beiden Teilnehmerinnen Emma Schrade aus Weingarten und Alina Welser aus Mittelbiberach, dass der "ganz schön stressig" ist.

Ein ganz anderes Bild als sonst im Bundestag: Im Plenarsaal sitzen hibbelige junge Leute zum ersten Mal auf den blauen Sesseln der Abgeordneten und das merkt man. Sie rollen vor und zurück, springen schneller auf, einige tragen Turnschuhe, es geht bewegter zu als sonst. Eine große Anzahl selbstbewusster, gut gekleideter Jugendlicher spielt Abgeordnete. Nur der Parlamentspräsident, der die Debatten leitet, ist echt. Am Morgen ist dies der Vizepräsident Johannes Singhammer (CSU), zum Abschluss Norbert Lammert.

Vier Tage lang haben die Jugendlichen aus ganz Deutschland die Chance genutzt einmal in die Rolle eines Parlamentariers zu schlüpfen. "Es hat echt Spaß gemacht sich mit den Themen zu befassen und seine Meinung vertreten zu können", sagt 17-jährige Emma Schrade aus Weingarten, die von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger nominiert wurde.

Sie hat, wie die anderen auch, ein volles Programm kennengelernt. Die Jugendlichen haben, wie die richtigen Abgeordneten, Landesgruppensitzungen, Pressegespräche, Fraktionssitzungen, Ausschusssitzungen und Plenardebatten kennengelernt. Jeder bekam eine erfundene Partei, die sich jedoch stark an die richtigen Parteien anlehnt, zum Beispiel die ÖSP, die ökologische soziale Partei, an die Grünen. Die jungen Politiktalente versuchen die Mehrheit für ihre Partei zu gewinnen, denn schließlich geht es bei "Jugend und Parlament" vor allem um die politische Bildung und den Nachwuchs der Politik. Vier fiktionale Gesetzentwürfe standen zur Debatte, vom Tierschutz bis zu Volksabstimmungen. Die Diskussion wurde so professionell geführt, dass am Schluss Moderatorin Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, meinte: "Wenn man nicht besonders aufgepasst hat, hat man wirklich nicht gemerkt, dass das hier eine Sonderdebatte war. Das war ziemlich engagiert."

Negative Erfahrungen wurden kaum gemacht: "Die größte Erfahrung war der Stress", sagte die 18-jährige Alina Welser aus Mittelbiberach, die vom Abgeordneten Martin Gerster (SPD) nominiert wurde. Außerdem sei die Frauenquote zu niedrig, beklagt Alina, die von Gerster als "politisches Jungtalent" bezeichnet wird. Sie beschreibt die Veranstaltung als "vielfältig, aber vor allem interessant". Alina will selbst in die Politik gehen. "Es ist schon immer mein Traum gewesen Politikerin zu werden." Auch Emma Schrade könnte sich vorstellen Politikwissenschaften zu studieren. Berlin verschafft mit der Veranstaltung einen guten Einblick.

Natürlich herrscht nicht immer nur Ruhe und Harmonie. In den Ausschussitzungen nervt man sich auch einmal. Alina Welser stellt es sich unter "richtigen Politikern echt hart vor". Spaß macht es aber trotzdem, "weil es immer mit viel Witz zuging", sagt Emma Schrade.

In einem sind sich Alina und Emma einig: Sie haben ein total cooles Programm erlebt, aber eben auch ein total stressiges. Für Emma war das Reden vor vielen neuen Leuten eine "tolle Erfahrung" und sie sagt, man lerne lockerer an die Sachen ranzugehen. "Wir sind alle politisch ziemlich interessiert und haben viel zu sagen."

Die Veranstaltung gibt es seit 35 Jahren, da waren die Teilnehmer noch nicht auf der Welt, daran erinnert Bundestagspräsident Norbert Lammert. "Wenn die meisten von Ihnen jetzt nach den letzten Tagen ebenso beeindruckt wie erschöpft wären, wäre mir das außerordentlich Recht, dann hätten Sie einen zutreffenden Eindruck vom real existierenden Parlamentarismus gewonnen", sagt Lammert zum Abschluss. Das stimmt zumindest mit den Erfahrungen von Alina und Emma überein.

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